Morus - Utopia, Varia

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Thomas Morus
Utopia
(Utopia)
Morus: Utopia
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Thomas Morus
seinem Petrus Aegidius Gruß!
Fast schäme ich mich, vortrefflicher Peter Aegidi-
bus, daß ich Dir das Büchlein über das utopianische
Staatswesen erst beinahe nach einem Jahre schicke,
das Du gewiß schon nach einem halben Jahre erwartet
hast, da Du ja wußtest, daß ich bei diesem Werke der
Erfindung überhoben war, über die Anordnung des
Stoffs nicht nachzudenken und einfach nur zu berich-
ten brauchte, was ich mit Dir zusammen von Raphael
erzählen gehört hatte. So machte die Diktion mir
keine Mühe, denn seine Sprache konnte, da seine
Rede eine improvisirte war, nicht durchdacht und ge-
feilt sein, und dann ist er, wie Du weißt, mehr im
Griechischen als im Lateinischen zu Hause. Und je
näher meine Darstellung seiner unstudirten schlichten
Sprache kam, desto näher kam sie der Wahrheit, der
ich hierbei allein obzuliegen habe. Ich gestehe,
Freund Peter, daß mir, da Alles so gegeben vorlag,
die Arbeit so erleichtert war, daß mir fast nichts aus
Eigenem zu thun übrig geblieben ist. Sonst würde Er-
findung und Komposition des Ganzen Zeit und Studi-
um eines nicht unbedeutenden und kenntnißreichen
Geistes erfordert haben. Wäre verlangt worden, daß
die Darstellung nicht nur wahr sondern von
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rednerischer Kunst sei, so hätte ich sie überhaupt
nicht liefern können. Nachdem aber diese Schwierig-
keiten von mir genommen waren, die allein ein Ziel
des Schweißes gewesen wären, blieb nur die einfache
Nacherzählung des Gehörten übrig und das war keine
nennenswerthe Aufgabe. Aber selbst zur Ausführung
dieser sehr geringen Arbeit ließen mir andere Ge-
schäfte fast keine Zeit übrig. Bald muß ich in gericht-
liches Angelegenheiten emsig plädiren, bald solche
anhören, bald als Schiedsrichter schlichten, bald als
Richter Urtheile fällen, bald einen amtlichen, bald
einen privaten Gang machen. Während ich fast den
ganzen Tag außer Hause Andern widme, bleibt mir
für meine eigenen Angelegenheiten, d.h. für Litteratur
und Wissenschaft, keine Zeit übrig. Komme ich heim,
so heißt es mit der Gattin plaudern, mit den Kindern
schäkern und mit der Dienerschaft verkehren. Das
rechne ich alles zu den Geschäften, die verrichtet wer-
den müssen (und es muß geschehen, wenn du nicht im
eigenen Hause ein Fremdling sein willst). Man muß
durchaus Sorge tragen, mit denen, die entweder die
Natur, der Zufall oder die eigene Wahl zu unsern Le-
bensgefährten gemacht haben, so angenehm als mög-
lich zu verkommen, damit sie durch zu große Vertrau-
lichkeit nicht verhätschelt, oder durch zu große Nach-
sicht aus Dienern zu Herren werden. So rauschen
Tage, Monate, Jahre dahin. Wann also schreiben?
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Und da habe ich nicht einmal vom Schlafen und vom
Essen gesprochen, das bei Vielen nicht weniger Zeit
in Anspruch nimmt als der Schlaf selbst, der doch fast
die Hälfte des Menschenlebens für sich in Beschlag
nimmt. So erübrigt mir nur
die
Zeit, die ich mir vom
Schlafe und vom Essen abbreche, und so wenig das
ist, so ist es doch etwas, und so habe ich endlich die
Utopia zu Stande gebracht, und sende sie Dir jetzt,
lieber Peter, zum Durchlesen, damit, wenn mir etwas
entgangen ist, Du mich darauf aufmerksam machst,
obwohl ich mir nämlich in dieser Beziehung nicht ge-
rade mißtraue, - ich wünschte, es fehlte mir ebenso-
wenig an Genie und Gelehrsamkeit als an der Gabe
des Gedächtnisses - so hege ich doch auch kein über-
triebenes Vertrauen zu mir selbst, daß ich etwa glaub-
te, es könne mir nichts entfallen sein. Denn auch Jo-
hann Clement, mein jugendlicher Aufwärter, der, wie
Du weißt, zugegen war, der mir bei keiner Unterre-
dung von einigem Belang fehlen darf, ein junges
Pflänzchen, das bereits in der griechischen und latei-
nischen Litteratur zu grünen beginnt, und von dem ich
mir einst ausgezeichnete Frucht verspreche - hat mich
sehr an mir zweifeln gemacht. So viel ich mich näm-
lich erinnere, hat Hythlodäus erzählt, jene Brücke von
Amaurotum über den Fluß Anydrus sei fünfhundert
Schritt lang, mein Johannes aber sagt, davon seien
zweihundert Schritt in Abrechnung zu bringen, indem
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die Breite des Flusses dort nicht über dreihundert
Schritt betrage. Ich bitte Dich, rufe Dir den Sachver-
halt ins Gedächtniß zurück. Stimmst Du mit ihm
überein, so trete ich euch bei, und glaube, daß mich
mein Gedächtniß trügt; kannst Du Dich aber nicht er-
innern, so lasse ich stehen, was ich niedergeschrieben
und baue auf mein Erinnerungsvermögen. Denn da
ich aufs äußerste besorgt bin, alles Falsche in meinem
Buche zu vermeiden, so will ich, wo die Wahrheit
nicht festzustellen ist, lieber eine Unwahrheit sagen,
als lügen. Denn lieber ehrlich als pfiffig. Diesem
Uebelstande wäre leicht abzuhelfen, wenn Du den Ra-
phael entweder mündlich oder schriftlich befragen
wolltest, was Du ja doch wegen eines anderen Skru-
pels, der uns aufstößt, thun mußt, handle es sich nun
um ein Versehen, meiner, Deiner oder Raphaels. Ist
es uns doch nicht eingefallen, ihn zu fragen, noch ihm
von freien Stücken zu sagen, in welcher Gegend des
neuen Welttheils Utopia liegt. Lieber möcht' ich es
mich eine ziemliche Summe Geldes haben kosten las-
sen, als daß uns das widerfahren wäre, theils, weil ich
mich wirklich schäme, nicht zu wissen, in welchem
Weltmeere die Insel liegt, über die ich so viel schrei-
be, theils weil es den Einen oder Andern bei uns gibt,
Einen aber vor allen, einen frommen Mann, von Beruf
Gottesgelehrten, der vor Begierde brennt, Utopien zu
betreten, nicht aus einem eiteln und neugierigen
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